Comme une image

Katalog

Die Edition Beryllo

bietet Künstlern die Möglichkeit
der Selbstdarstellung in Buchformat.

Die jeweiligen Bände, retrospektiv angelegt, sind in Inhalt und Form von ihnen selbst verantwortet und geben einen repräsentativen Blick auf ihr Werk.

Dr. Felix Billeter
Schwabenstraße 3
D-82256 Fürstenfeldbruck

Fon + 49.8141.53 61 21
Fax + 49.8141.53 61 24

© Edition Beryllo / 2018
www.beryllo.com
office ( at ) felixbilleter.com

Premier essai

Müsste anfangen zu dichten
Dann könnte ich sagen was ich zu sagen habe
Die Wortskulpturen schmerzlos bilden die mein leben beschreiben
Das haben ganz andere vor mir gemacht
Sie haben sich verzweifelt gesult in ihren Worten
Haben darin gelebt
damit
Ich spüre dass das mein Ding ist dass alles andere Tarnung war

Kinderbücher schreiben eintauchen in die Wunderwelt der Tiere
Alle Bilder aus der Kindheit
Aus meinem Leben
mit dem Humor der mir inne wohnt zu Tage fördern
Sie fliessen lassen
Habe mir immer eine saubere Arbeit vorgestellt
so eine
die man bequem an einem Caféhaustisch erledigen kann
nicht so was kompliziertes fleckiges und schweißtreibendes wie Malerei
denken ist die schönste Form des Schaffens das Denken sich zum Beruf machen
aber mit der Leichtigkeit mit dem bewegten Blick des Kindes
und gemütlich versonnen elegant seinen Stiftrücken in die Wange drücken
während sich andernorts die Finger in einer schon mulchähnlichen Farbmasse wälzen
das unwohle Gefühl nicht loswerden wollend dass nach Picasso keine Malerei mehr möglich ist

Drehbücher schreiben Bildergeschichten im Kopf erfinden und sie andere realisieren lassen
Auch das schwebte mir vor während ich sehnenscheidenentzündungsgeplagt die Finnpappe
für mein nächstes Modell zuschnitt
Mit den Worten tanzen gehen
Sie überall hinfliessen hinleuchten lassen da wo meine Gedanken meine Blicke
sich nicht aufhalten wollten
ich muss dichten dichten ist die wahre Kunst
die Musik der Sprache die gedachte Musik
nicht die ganzen Dichter lesen nicht sich beeinflussen lassen
neulich hatte ich das Gefühl der reinen Poesie so wie sie aus mir herausquillt
ein paar Tage später hörte ich eine Sendung über Ingeborg Bachmann und hatte
dieses Gefühl wieder diese Verbundenheit
mein Weg geht nun weg vom Unglück hin zur Freude
werde dichten um nicht meine menschlichen Beziehungen immer
auf den harten Prüfstein des absoluten verbalen Austauschs zu stellen

werde dichten um meiner Sprachhingabe meiner Sprachbesesseneheit Auslauf zu geben
meinen Gedanken und Assoziationskasskaden eine Spielwiese zu bieten
eine Formulierungsplattform auf der sie sich austoben können
Romane nein das schaffe ich nicht
ich möchte hüpfen dürfen szenisch wie formal mich an keine Regeln halten
und sie doch gestalten
sie scheinbar durchbrechen und sie doch au pied de la lettre applizieren

möchte Geschichten schreiben zwischen den Sprachen
im Niemandsland der Sprachen

da wo wir zwischen den Stühlen hängen
Ping Pong spielen und die Sommerfrische geniessen
Kind meiner Zeit sein und doch diese wie in allen Menschen anders verankerte Spezialmischung von Eindrücken Erfahrungen

Ich werde damit beginnen behutsam und lautlos
Eigentlich müsste ich das jetzt malen
Ich bin verliebt nein ich liebe
Ich bin im Einklang mit mir und der Welt
Ich habe viel vor
Und jetzt wie immer in diesen Augenblicken sitze ich da und will weg
obwohl
ich glücklicher nicht sein könnte
dabei entstehen immer sogenannte Abfallprodukte wie Molière
es nannte und er sein Werk betittelte
die Abfallprodukte von dem was man eigentlich machen will
sehen die anderen dann als dein Werk an als deine Arbeit deine Sprache

Ich muss meine ganze Welt aufschreiben
Muss diese Bilderfluten und Ideestürme diese Beobachtungsorgien die tagtäglich beiläufig in meinem Kopf gespeichert werden bei einer ganz normalen Werkstattabgabe im Theater
Die müssen einen Ort finden
Lange dachte ich daran Momentaufnahme Listen guter Repliken Zettelkästen glücklicher Einfälle anlegen zu können
Diese Unterfangen verschwanden stets im unsachgemäßen Archivieren dieser mikrigmikroskopischen Texte
Die wenigen angefangenen und im zweiten Satz unterbrochenen Dateien auf meinem Rechner waren Relikte dieser heeren Vorhaben
Ich wusste aber auch dass das Leben eine andere Art des Wiederkäuens für mich auserkoren hatte
Schreiben nein das kann es nicht sein das tut schon meine Mutter
Da stehen wir uns nur in der Quere
Was war das gleich

Ich hab jetzt einfach mal angefangen und schau wohin das führt
Irgendwie wird es schon einen Zugang geben zu den wirklichen Worten
Neulich als im Auto saß und dieses Gefühl des Dichtens mich überrumpelte
Nein ich saß in der S-Bahn
da hatte ich natürlich auch das ganz bewusste Wissen darum dass ich mir damit
mal wieder die schwierigste die gefährlichste aller Künste ausgesucht hatte
Dichten
der Weg des Abrutschens in den Kitsch ins Gefällige ist kürzer als
bei allen anderen künstlerischen Ausprägungen
Meine letztzeitige Aversion für Dichtkunst zeugt sowohl vor Scheu solch Beliebigkeit zu hören als auch vor dem immensen Respekt vor den wahren Dichtern die leidend geschuftet haben um dies
aus ihren Fingern zu lassen
was wir nun geniessen dürfen

Erste Handlung ist die Abschaffung aller Satzzeichen
Sie hemmen den Weg
Neulich bin ich beim smsln schon zur luftigen Satzzeichensetzung übergegangen inspiriert von dem Mann den ich liebe
Er setzt Luftpausen zwischen diese einengenden Institutionen er hat recht aber weglassen ist noch besser
Dann das Auffädeln Aufteilen der Worte in eine Zeile
Das genaue Wissen welcher grammatischen Form man sich bedient und es geschickt beiläufig tarnen
Überhaupt ist das Tarnen eine schöne Sache wenn auch die meine nicht wirklich

Müsste mal anfangen meine volle Größe zu stehen

Das werde ich wieder streichen aus dem Text
Das Dichten im Erdichten

Ich spiele auf Zeit meine Liebe ich spiele auf Zeit weil es
schon halb fünf ist
Und ich immer noch nicht das was ich als mein Tagwerk betrachte
begonnen habe
Und was um Mittag nicht begonnen wird nicht mehr erklommen
das hat irgendwer aus meiner Familienritualsatzkiste schon seit jeher verlautbaren lassen
In welcher Sprache auch immer
Heute ist aber der Geburtstag meiner Mutter
gleich also werden wir uns fertig machen
und essen gehen
Eine wichtige Sache und viel wichtiger als Filmakademie Konzepte schreiben
obwohl die dran gewesen wären
Das Schreiben erleichtert
ja
ich kann
nachfühlen was Proust hat womöglich fühlen können als er seine ganze Welt
in dieses Buch gepackt hat
Genauso wie ich es nicht sagen darf auch wenn ich es so empfinde dass ich das Bild den Film nur noch malen aufnotieren drehen in die Bildfläche gießen muss
es ist schon ganz fertig in meinem Kopf wie Mozart es mit seinen Kompositionen hatte
Solche Dinge sind unsagbar weil anmaßend
Aber schreibbar weil Geschichten
alles ist erlaubt man sollte sich nur auszudrücken vermögen
Ob dieses Geschwafel jemals (an)erkannt wird ist fraglich aber vorerst dient
es zu meinem Seelenheil und zur Unversehrtheit meiner Mitmenschen die ich fortan nicht mehr plagen muss mit Aufmerksamkeitbedürfnissen überdimensionierter Art
Von allen diffusen Qualen befreit setzte ich mich an mein nächstes Bild

das eine Ende
Das andere geht so

Nach der letzten Zeile kollabiert mein Rechner
Der sich während des Schreibvorgangs kontinuierlich rhythmisch hyperventilierend
zum eiligen Tippen meiner Finger
Knacksend hochgeschaukelt hatte
ein weißer Bildschirm regungslos verstummt
Und ich verbringe den Rest des Nachmittags beim Computer Doktor der dann aber nichts feststellen kann Fehlalarm
kamen natürlich zu spät ins Restaurant
es wurde noch ein sehr schöner Abend

Isabelle Krötsch